Die Motivation
2003 war für deutsche Winzer ein außergewöhnliches Jahr. Das erste Jahr, in dem sie es mit Desertifikation zu tun hatten: Heiß und vor allem trocken. Zwar gab es auch schon vorher warme Jahre, aber die lang anhaltende Hitzewelle vollkommen ohne Regen oder nur mit minimalem Niederschlag war außergewöhnlich und für die 2003 verantwortliche Winzergeneration ohne Beispiel. Mit der 2003er Spätburgunder-Verkostung wollten wir sehen, wie die Winzer mit der neuen Situation zurecht gekommen sind, wie sich die Weine entwickelt haben und welche Konsequenzen daraus gezogen werden können.
Das Panel
Vier Juroren waren als harter Kern bei allen vier Verkostungsterminen anwesend:
Joachim A. J. Kaiser – VINOSITAS Journalism & Photography
Thorsten Kogge – Freier Mitarbeiter beim Schweizer Weinkritiker Yves Beck
Maximilian Philipps – Weinblogger und Gründer der studentischen Weingruppe vinUM Mannheim e.V. an der Universität Mannheim
Patrick Johner – Winzer
Ergänzt wurde das Panel durch Juroren, die an einem oder zwei Terminen teilnahmen:
Uwe Blumhofer – Winzer und Feinkostkaufmann
Moritz Görg – Oenologe (Bürklin-Wolf, Dönnhoff)
Johannes Jülg – Winzer
Susanne Kaufmann – Informatikerin
Jürgen Kling – Sammler von High-End-Weinen
Andreas Klumpp – Winzer
Philipp Petri – Winzer
Holger Klotz – Sommelier und Gastronomieleiter
Ivo Rogina – Professor für Informatik
Walter Zentner – Ingenieur
Die Weine
Einige 2003er Spätburgunder befanden sich bereits in den Kellern des harten Kerns (s.o.). Vier französische Pinot Noir, drei Premier Crus und ein Grand Cru aus dem Burgund, wurden zum Vergleich hinzugekauft. Der 2003er Les Epenottes Premier Cru de Beaune von der Domaine Parent wurde vom Schweizer Weinkritiker Yves Beck kostenlos zur Verfügung gestellt. Dafür ganz herzlichen Dank! Die meisten Weine wurden jedoch von den Weingütern kostenlos zur Verfügung gestellt. Insgesamt wurden 53 Weine von 42 Weingütern aus Deutschland und von vier Weingütern aus dem Burgund verkostet. Darunter 27 Weingüter, die Stand 2019 Mitglieder im Verband der Prädikatsweingüter (VDP) sind. Sechs Weingüter stellten zwei verschiedene Spätburgunder und eines sogar drei Spätburgunder (Spätburgunder, trockene Auslese und Beerenauslese) zu Verfügung. Wie auch die hohe Anzahl an VDP-Betrieben zeigt, war die Verkostung hochrangig besetzt. Die anderen Weingüter zählen ebenfalls überwiegend zur deutschen Spitze, insbesondere bei Spätburgunder.
Weingut | Wein | Region | Alk. % |
Bassermann-Jordan | Königsbacher Ölberg, Spätburgunder | Pfalz | 14,5 |
Becker F. | Pinot Noir, Heydenreich | Pfalz | 13,5 |
Bercher | Spätburgunder Kaiserstuhl, Im Barrique gereift | Baden | 14,0 |
Bernhart R. | Spätburgunder “R“ | Pfalz | 14,0 |
Bruno Clavelier | Gevrey-Chambertin Premier Cru Les Corbeaux Vieilles Vignes | Burgund | 14,0 |
Burg Ravensburg | Sulzfeld Burg Ravensburg, Spätburgunder Löchle | Baden | 13,5 |
Bürklin-Wolf | Pinot Noir (Magnum) | Pfalz | 14,0 |
Chachat-Ocquidant | Corton-Vergennes Grand Cru Clos des Vergennes Monopole | Burgund | 13,5 |
Deutzerhof | Apollo, Spätburgunder | Ahr | 14,0 |
Deutzerhof | Neuenahrer Kirchentürmchen, Spätburgunder | Ahr | 14,0 |
Drautz-Able | Neckarsulmer Scheuerberg | Württemberg | 14,6 |
Drautz-Able | RD Samtrot (Pirat) | Württemberg | 13,9 |
Fürst | Hundsrück | Franken | 13,5 |
Fürst Hohenlohe Oehringen | Verrenberger Verrenberg, Spätburgunder „Butzen“ | Württemberg | 14,0 |
Gutzler | Morstein, Spätburgunder, im Barrique gereift | Rheinhessen | 14,0 |
Hans Lang | Johann Maximilian, Spätburgunder Pinot Noir “R“ | Rheingau | 14,5 |
Hans Lang | Johann Maximilian, Spätburgunder Pinot Noir “RR“ | Rheingau | 16,0 |
Harteneck | Spätburgunder Edition No. 4 | Baden | 18,0 |
Huber B. | “R“, Spätburgunder | Baden | 13,5 |
Huber B. | Alte Reben, Spätburgunder | Baden | 13,5 |
Johner | Blauer Spätburgunder “SJ“ | Baden | 14,0 |
Johner | Blauer Spätburgunder | Baden | 14,0 |
Jülg | Schweigener Sonnenberg, Spätburgunder “RR“ | Pfalz | 13,5 |
Kistenmacher-Hengerer | Blauer Spätburgunder * Junges Schwaben *, unfiltriert | Württemberg | 16,0 |
Klumpp | Pinot Noir ***, Spätburgunder | Baden | 13,0 |
Knab | Endinger Engelsberg Spätburgunder *** | Baden | 14,5 |
Knab | Endinger Engelsberg Spätburgunder Auslese | Baden | 16,0 |
Knab | Endinger Engelsberg Spätburgunder Beerenauslese | Baden | 17,0 |
Knipser | Im Grossen Garten (Burgweg) | Pfalz | 14,5 |
Knipser | Kirschgarten | Pfalz | 14,0 |
Kopp | Spätburgunder * R * | Baden | 14,0 |
Kreuzberg | Ahrweiler Silberberg, Spätburgunder | Ahr | 15,0 |
Krone Assmannsh. | Assmannshäuser Höllenberg, Spätburgunder | Rheingau | 14,5 |
Kühling-Gillot | Oppenheimer Kreuz, Spätburgunder | Rheinhessen | 14,5 |
Lämlin-Schindler | Mauchener Frauenberg, Spätburgunder | Baden | 15,5 |
Lingenfelder | Ganymed, Spätburgunder Pinot Noir | Pfalz | 14,0 |
May | Benedikt, Spätburgunder | Franken | 15,0 |
Münzberg | Schlangenpfiff, Godramsteiner Münzberg, Spätburgunder | Pfalz | 15,0 |
Parent | Les Epenottes Premier Cru de Beaune | Burgund | 13,5 |
Petri | Herxheimer Honigsack, Spätburgunder, Im Barrique gereift | Pfalz | 16,0 |
Rebholz | Siebeldingen Im Sonnenschein | Pfalz | 15,5 |
Salwey | Oberrotweiler Kirchberg, Spätburgunder | Baden | 14,5 |
Schlumberger | Pinot Noir RR | Baden | 13,5 |
Schnaitmann | Simonroth, Spätburgunder | Württemberg | 14,5 |
Serafin | Gevrey-Chambertin Premier Cru Les Corbeaux | Burgund | 13,5 |
Shelter | Pinot Noir | Baden | 14,5 |
solveigs | Present, Pinot Noir (Magnum) | Rheingau | 14,0 |
Wilhelmshof | Berg, Siebeldingen im Sonnenschein, Spätburgunder, Im Barrique gereift | Pfalz | 15,0 |
Wirsching | Iphöfener Kalb, Spätburgunder | Franken | 14,5 |
Wissing | Niederhorbacher Silberberg, Spätburgunder | Pfalz | 14,0 |
Würtz, Dirk | Würtz Weimann I (Bolinas) | Rheinhessen | 13,8 |
Zehnthof | Sulzfelder Maustal, Spätburgunder *** | Franken | 14,5 |
Ziereisen | Jaspis | Baden | 12,5 |
Die Verkostung
Die Weine wurden in Karlsruhe an vier Terminen im Juni und Juli 2019 verkostet. Je Termin wurden maximal 16 Weine verkostet. Die Weine wurden ca. 1,5 Stunden vorher geöffnet, auf Kork (TCA & Co) getestet, wieder verschlossen und kühl bis zur Verkostung gelagert. Alle Weine wurden in der ersten Runde zunächst blind verkostet. Eine zweite Runde fand ca. drei Stunden später statt, um zu schmecken, wie sich die Weine mit Luft entwickelt hatten. Bei dieser zweiten Runde, bei der die Weine bereits bekannt waren, durfte maximal um zwei Punkte nach oben oder unten korrigiert werden. Hintergrund dieser Regel: Die meisten Konsumenten warten keine drei Stunden zuhause oder im Restaurant, ehe sie eine geöffnete Flasche trinken. Die Bewertungen wurden statistisch ausgewertet: Median, Mittelwert, Standardabweichung. Falls erforderlich, wurden Ausreißer eliminiert (4 von 338 Bewertungen). Falls eine Konterflasche vorhanden war, wurde bei einem Median von unter 90/100 Punkten, die Konterflasche dieses Weins bei einem der nächsten Termine eingeschleust und blind mit verkostet. Zwei Weine, die beim vierten und damit letzten Termin unter 90 Punkte lagen und für die Konterflaschen vorhanden waren, wurden im August mit einigen anderen nachverkostet, z.T. auch gereiften Spätburgundern aus verschiedenen Jahrgängen. Wie gehabt zunächst blind und in einer zweiten Runde offen. Für die Rangfolge wurde der höhere der beiden Bewertungen Flasche/Konterflasche verwendet. Die Rangfolge der 53 Weine wurde anhand der Medianwerte erstellt. Von den Winzern im Panel stellten Patrick Johner, Moritz Görg (Weingut Bürklin Wolf), Philipp Petri, Andreas Klumpp und Johannes Jülg Weine für die Verkostung zur Verfügung. Ihre Weine wurden an Terminen verkostet, an denen sie nicht teilnahmen. Ausgenommen war Patrick Johner, der an allen vier Terminen teilnahm, aber nicht wusste, bei welchem Termin seine beiden Weine zur Probe anstanden. Er hat seine beiden Weine nicht erkannt. Seine Bewertungen unterscheiden sich nicht von denen der anderen Juroren.
Die Rangfolge
Die Spitze
Die olympischen Disziplinen kennen drei Sieger: Gold, Silber und Bronze. Bei den 2003er Spätburgundern sind es allerdings fünf Sieger, denn Silber und Bronze teilen sich jeweils zwei Weine. Vier dieser fünf herausragenden Weine kommen aus Deutschland. Ein Wein aus dem Burgund hält die französische Flagge hoch.
Platz 1: Mit 96/100 Punkten steht Bernhard Hubers 2003er Spätburgunder >R< ganz oben.
Der >R< ist der Vorläufer vom Wildenstein, der erst ab 2004 als Hubers VDP-Spitzengewächs auf den Markt kam. Würziger und kalkiger Duft, rote und blaue Beerenfrüchte, am Gaumen voll, dabei elegant und fest zugleich, mit Luft und Wärme zusätzlich helle Pflaume, Aronia, Himbeere, auch Tabak, Leder und ein Hauch von frischem Jogurt, aber alles sehr fein verwoben, nichts aufdringliches, Tannine rund und seidig, lang. Mit 13,5% ist der Alkoholgehalt des >R< noch moderat.
Platz 2 mit 95/100 teilen sich zwei Weine, Knipsers 2003er Spätburgunder Im Großen Garten und der 2003er Pinot Noir von Shelter Winery.
Der Spätburgunder Im Großen Garten ist der Vorläufer des Knipserschen VDP-Spitzengewächses Burgweg.
Der Wein duftet kräftig nach Cassis, Schwarzkirsche und Zwetschgenkuchenbackblech, auch leicht rauchige Noten nach Holzasche sind wahrnehmbar, im Mund ebenso kräftig mit einer dezenten Bittermandelnote, Zigarrenkiste, Tannine feinkörnig, saftig-animierend trotz seiner Kraft, lang. Die 14,5% Alkohol tragen sicher zum kräftigen Auftritt des Weins bei. Sie sind aber gut eingebunden und man schmeckt den Alkohol nicht heraus, wenn man nicht gezielt darauf achtet. Ganz offensichtlich beherrschen Knipsers die Kunst, kräftige und trotzdem elegante Spätburgunder auf die Flasche zu ziehen, nicht erst seit gestern.
Was Hans-Bert Espe und Silke Wolf von Shelter da vinifiziert haben, ist keine kleine Sensation, denn das war ihr erster Jahrgang. Und dann gleich eine derartige Granate!
Feuerstein und ein kühler, ätherischer Duft steigt in die Nase, verwoben mit roter Beerenfrucht. Mit der Wärme im Mund kommen noch Aromen von Brombeeren und hellem Leder hinzu. Die Frische von roter Johannisbeere kontrastiert mit dezenten Noten nach Liebstöckel, Koriandergrün und schwarzem Pfeffer und erzeugt eine Spannung, die sofort nach dem nächsten Schluck verlangt. Der Wein ist balanciert, ungewöhnlich nuanciert und wirkt trotz seiner 14,5% Alkohol eher kühl am Gaumen.
Platz 3 mit 94/100 teilen sich ebenfalls zwei Weine, Ziereisens 2003er Jaspis und der 2003er Les Epenottes Premier Cru de Beaune von der Domaine Parent.
Wie man sieht handelt es sich um eine unetikettierte, handbeschriftete Flasche direkt aus der Schatzkammer von Ziereisen.
Der Jaspis übt sich zunächst in Zurückhaltung mit einem dezenten, unspezifisch rot- und dunkelbeerigen Duft. Mit Luft kommen kalkige und feine ätherische Noten von Eukalyptus, Minze und Kampfer zum Vorschein. Aber immer noch alles sehr zurückhaltend. Im Mund wiederholt sich dieser Eindruck, nachhaltig und fest am Gaumen, aber nichts dominiert, alles verschmilzt zu einem harmonischen Ganzen. Wenn überhaupt etwas heraussticht, dann die packende Säure, die den Wein frisch und saftig erscheinen lässt und die Aufmerksamkeit fokussiert. Dabei nur 12,5% Alkohol, eine Meisterleistung für das heiße Jahr 2003! Ein Musterbeispiel an Eleganz, das zeigt, dass 12,5% Alkohol vollkommen ausreichen, um einen Spitzen-Spätburgunder zu erzeugen.
Der Wein der Domaine Parent ist einer der vier Burgunder, die wir zum Vergleich herangezogen hatten.
Der Wein duftet dezent nach Rhabarber, schwarzem Tee, Kornel- und Sauerkirsche, auch eine leicht ätherische Note ist vorhanden. Im Mund kommt mit Wärme eine kalkige Note hinzu. Die Tannine sind noch feinkörnig, sehr leicht adstringierend, insbesondere auch aufgrund der prägnanten Säure. Die 14,5% merkt man, die Wärme des Alkohols dominiert den Wein jedoch nicht.
Die Mitte
In die ‚Mitte‘ wurden alle Weine zwischen 93 – 90/100 Punkten (Median) eingereiht. ‚Mitte‘ im Rahmen dieser Verkostung, denn das sind exzellente Weine, die sich auch international nicht verstecken müssen.
Platz 4 mit 93,5/100 Punkten teilen sich drei Weine,
Platz 5 mit 93/100 sechs Weine, darunter auch der Gevrey-Chambertin 1er Cru Les Corbeaux Vieilles Vignes von der Domaine Bruno CLAVELIER,
Platz 6 mit 92,5/100 fünf Weine, darunter auch der Gevrey-Chambertin 1er Cru Les Corbeaux von der Domaine SERAFIN,
Platz 7 mit 92/100 sieben Weine, darunter auch der Corton-Vergennes Grand Cru Clos des Vergennes Monopole von der Domaine CHACHAT-OCQUIDANT,
Platz 8 mit 91,5/100 drei Weine,
Platz 9 mit 91/100 sechs Weine,
Platz 10 mit 90,5/100 vier Weine und
Platz 11 mit 90/100 Punkten teilen sich zwei Weine.
Die Anderen
12 Weine liegen unterhalb der 90/100. Sie als ungenügend zu bezeichnen, wäre nicht fair, denn bei den meisten dieser Weine handelt sich immer noch um gute Weine mit 86 – 89/100 Punkten. Die niedrigste Bewertung betrug 84/100. Nur einer dieser Weine musste aus der Bewertung herausgenommen werden, da er in der Stunde vor der Verkostung komplett zusammenbrach und nicht mehr genießbar war. Es war der einzige Wein mit zweifelhafter Provenienz. Da der Winzer keine Rückstellflasche mehr besaß, kaufte er den Wein von einem Kunden zurück und stellte ihn uns zur Verfügung. Alle anderen Weine stammten direkt aus den Kellern der Weingüter oder direkt aus den Kellern des harten Kerns.
Die weitere Auswertung
Die Regionen
Mit 18 Weinen ist Baden als Region am häufigsten vertreten, gefolgt von der Pfalz mit 12, Württemberg mit 5, Burgund, Franken und Rheingau mit jeweils 4, sowie Ahr und Rheinhessen mit je 3 Weinen.
Die Dominanz von Baden und Pfalz verwundert nicht. Es sind die beiden Regionen mit dem wärmsten Klima in Deutschland. Die Weingüter verfügen deshalb am ehesten über Erfahrung, wie mit heißen Jahrgängen umzugehen ist.
Allerdings gab es nicht nur in den anderen Regionen, sondern auch in Baden und der Pfalz Winzer, die unumwunden zugaben, dass sie nicht gut mit dem Jahrgang 2003 zurechtgekommen sind. Wobei ihnen weniger die Hitze als viel mehr die Trockenheit in Kombination mit der Hitze zu schaffen machte. Diese Winzer haben deshalb keine Spätburgunder für die Verkostung zur Verfügung gestellt.
Der Alkoholgehalt
Die Alkoholgehalte liegen zwischen 12,5 – 18%. Eine erhebliche Schwankungsbreite, wobei man die niedrigen 12,5% von Ziereisens Jaspis in einem derart heißen Jahr nicht erwarten würde. Allerdings kann man von einer trockenen Beerenauslese auch nicht erwarten, dass sie der Archetyp des schlanken, eleganten, eher rotfruchtigen Spätburgunders / Pinot Noir ist und nur 12,5% aufweist.
Etliche Weine mit 15 bis 16% steckten den hohen Alkoholgehalt jedoch erstaunlich gut weg, da sie aufgrund ihrer strukturellen Substanz gut ‚gepuffert‘ waren. Auf der einen Seite bleibt die Frage, ob trockene Spätburgunder Beerenauslesen wünschenswert sind. 17 oder 18% Alkohol machen sich schon deutlich bemerkbar. Die Weine wirken bitter, spritig, brennend auf der Zunge. Letztendlich ist das wohl Geschmackssache, Spirituosen haben noch deutlich höhere Alkoholgehalte. Auf der anderen Seite gab es auch 14,5%ige Weine, bei denen der Alkohol sich bereits deutlich bemerkbar machte. Nicht wirklich unangenehm stark, aber stark genug, um sie nicht in die Spitzengruppe vordringen zu lassen.
Eine eindeutige Korrelation zwischen dem Alkoholgehalt und der Bewertung gibt es allerdings nicht. Das Panel bewertete drei der sechs Weine mit den höchsten Alkoholgehalten von 16, 17 und 18% relativ niedrig mit 85,5/100 oder weniger Punkten. Drei Weine mit 16% schnitten jedoch exzellent ab mit 90 – 93/100. Und Weine mit 15 – 15,5% finden sich querbeet. Auffällig ist jedoch, dass keiner der fünf Weine an der Spitze mehr als 14,5% aufweist und die beiden Weine mit 17 und 18% zusammen mit einem 16%igen Wein das Schlusslicht bilden. Allerdings gesellt sich auch ein 14%iger Wein zu diesen Schlusslichtern hinzu. Der Grund liegt bei diesem Wein also nicht beim Alkoholgehalt. Das nächste Kapitel widmet sich der Ursache für das relativ schlechte Abschneiden dieses und weiterer Weine.
Das bekannte, unbekannte Risiko Kork
2,4,6-Trichloranisol (TCA) ist die bekannteste einer Reihe von phenolischen Verbindungen, die als Korkton bekannt sind. Weitere chlor- und bromhaltige Anisole riechen nicht so penetrant wie TCA, beeinflussen Wein aber ebenfalls geschmacklich stark negativ.
Weit weniger bekannt sind geschmackliche Beeinträchtigungen, die überwiegend erst mit der Reifung und Alterung von Wein in mit Kork verschlossenen Flaschen auftreten. Korken durchfeuchten langsam und laugen im Laufe der Jahre aus. Hohe Alkoholgehalte begünstigen diese Auslaugung, weil viele dieser Stoffe sich besser in alkoholischer Lösung als in reinem Wasser lösen. Schlechte oder verunreinigte Korken können unangenehm riechende und schmeckende Stoffe abgeben. So ist zum Beispiel 1-Octen-3-ol (Octenol) eine dieser Verbindungen, die ähnlich unangenehm wie TCA riecht und typischerweise auf Schimmel im oder auf dem ausgelaugten Korken zurückzuführen ist.
Geschmacklich besonders auffällig ist diese Korkauslaugung bei gereiften Weißweinen. In sehr geringen Konzentrationen schmecken die Weine erdig, nach nassem Herbstlaub. In höheren Konzentrationen von muffiger, nasser, verrottender Pappe bis hin zu penetrant stinkendem Bahnhofstunnel, dem Brettanomyceston nicht unähnlich. Wahrlich kein Genuss! Bei Rotweinen fällt die Korkauslaugung bei geringen Konzentrationen nicht so sehr auf, wie bei Weißweinen. Erdige und Herbstlaubnoten werden als die Komplexität bereichernde Aromen gereifter Rotweine wahrgenommen. Dennoch wiesen auch einige verkostete Spätburgunder eine deutliche Korkauslaugung auf. Vor allem bei der zweiten Runde, nachdem die Weine drei Stunden Luftkontakt hatten, trat die Korkauslaugung noch deutlicher als in der ersten Runde hervor. Die niedrigere Bewertung im Verhältnis zu den anderen Weinen bestätigte sich in allen Fällen in der zweiten Runde. Konterflaschen, die bei Folgeterminen verkostet wurden, bestätigten in drei Fällen die relativ niedrige Bewertung. In einem Fall war die Konterflasche deutlich besser mit kaum wahrnehmbarer Korkauslaugung. Ganz offensichtlich dank eines besseren Korkens.
Die Schlussfolgerungen
Das Aromenprofil
Spätburgunder / Pinot Noir ist der König unter den cool climate Rotweinsorten. Als klassisch gelten elegante, eher schlanke bis mittelgewichtige, rotfruchtige Weine: Himbeere, Erdbeere, rote Johannisbeere, Sauerkirsche und ein Hauch Bittermandel, wie er aus angebissenen Kirschkernen kommt. Man spricht von ‚kühler‘ Aromatik. Alkoholgehalte über 13,5% sind unerwünscht.
In sehr warmen Jahren steigt der Zuckergehalt in den Beeren und damit der Alkoholgehalt. Die Weine werden ‚breiter‘ und das Aromenprofil verschiebt sich in Richtung reifer, dunklerer Frucht: Schwarzkirsche, Brombeere, Blaubeere, Cassis. Man spricht von ‚reifer‘ Aromatik.
Und in richtig heißen Jahren sind locker 15% Alkohol und mehr möglich. Die Weine wirken ‚fett‘ und das Aromenprofil geht in Richtung Zwetschge, Feige, Rumtopf.
Die meisten Kritiker goutieren diese ‚überreifen‘, ‚marmeladigen‘ Spätburgunder / Pinot Noir nicht. Die Konsumenten sehen das sehr oft anders. Ich zitiere Patrick Johner, Winzer, der aus eigener Erfahrung spricht:
“Klar, ich erinnere mich noch daran, als bei uns in Baden im Jahrgang 1997 alle Winzer das besondere Herbstwetter ausnutzten und Trauben im Auslesebereich mit über 14,5% Vol. ernteten. Ein bis zwei Jahre später, als diese gefüllt wurden, waren die Weine einfach sehr füllig am Gaumen. Den Konsumenten hatte so etwas gefallen, da damals dieser Stil das Gegenteil des klassischen “dünnen” Badischen Spätburgunders bildete und in Richtung kräftiger Kalifornier ging. Leider gab es ein paar Jahre später die Erkenntnis, dass solche Weine nicht unbedingt gut heranreifen. Irgendwann ist die Frucht weg und dann bleibt der brennende Alkohol übrig.
Tja und dann kam der Jahrgang 2003 mit dem Rekordsommer. Von Mai bis September hochsommerliche Temperaturen und keinerlei Niederschläge. Und jetzt wo der 2018er Jahrgang eine Wiederholung solch eines Sommers darstellt, stellt sich die Frage, ob es nicht so langsam zu warm für den Spätburgunder wird und die globale Erderwärmung manchem Winzer seinen “Pinot Noir” verkocht. Mittlerweile haben die Winzer eine einfache und sehr pragmatische Lösung gefunden. Einfach genau auf das Mostgewicht schauen, früher ernten und schon ist das Problem gelöst!
Aber ist diese Lösung nicht zu einfach? Nicht unbedingt. Denn dazu sollte man das Aromenprofil einer Spätburgundertraube bei der Heranreifung betrachten. Unreife Spätburgundertrauben können Aromen nach Gras, grünem Paprika oder andere grün-gemüsige Noten zeigen. Dann kommt eine Reifephase mit Obst-Aromatik.“
Trauben können so früh wie möglich geerntet werden, sobald sie sich geschmacklich in der Obst-Phase befinden. Man spricht von physiologischer Reife. Ganz unabhängig davon, ob sie bereits 95 Grad Oechsle aufweisen, was den erwünschten 12,5 – 13% Alkohol entspricht. Im Burgund, das in der wärmeren Weinbauzone C liegt, wird das schon lange so gehandhabt. Dort achten Winzer in erster Linie auf die geschmackliche Reife der Trauben und chaptalisiert nötigenfalls, um ca. 13% Alkohol zu erreichen. Oder sie säuern zusätzlich an, wenn in zu heißen Jahren die Säurewerte in die Knie gehen. Hinzu kommt, dass Spitzenwinzer mittlerweile gelernt haben die Pflege ihrer Weinberge gezielt an heiße und trockene Jahre anzupassen, was ebenfalls dazu beitragen kann die Alkoholgehalte zu reduzieren. Trauben können in heißen Jahren, müssen aber nicht unbedingt zum frühest möglichen Zeitpunkt geerntet werden. In diesem Zusammenhang spielt auch die innere Dichte der Weine, d.h. der zuckerfreie Extrakt der Weine eine Rolle, weil er hohe Alkoholgehalte geschmacklich ‚puffert‘. Zu hohe Erträge, z.B. durch Bewässerung ohne Ertragsreduzierung, reduzieren diese innere Dichte. Bei gleichzeitig hohem Alkoholgehalt wirken diese Weine unbalanciert und brandig.
Wer nun denkt, dass in sehr heißen Jahren die Trauben stets problemlos diese physiologische Reife erreichen sollten, täuscht sich. 2018 hat das exemplarisch sehr deutlich gezeigt. Denn wenn Hitze und Dürre zusammentreffen, kann der Wassermangel in Verbindung mit der Hitze dazu führen, dass die Reben den Reifungsprozess einstellen und den Stoffwechsel auf ein lebenserhaltendes Minimum reduzieren. Wenn die Reben später im Jahr keine Gelegenheit mehr haben diese Reifeunterbrechung aufzuholen, weil das Wetter nicht mitspielt oder die Zeit nicht mehr reicht, dann können die Weine auch in heißen Jahren diese oben bereits erwähnten, grünen, unreifen Noten zeigen. 2018 war dies bei vielen Weißweinen der Fall. Auch bei manchen Rotweinen, allerdings deutlich weniger als bei Weißweinen.
Die Reifung auf der Flasche
Schon einmal wurden etliche der Spätburgunder des Jahrgangs 2003, die wir in der Verkostung hatten, im gereiften Zustand probiert, nämlich 2013. Patrick Johner war auch damals dabei gewesen und schreibt dazu:
“2013 wurde ich vom damaligem von Gault Millau Team zur 10 Years After Weinverkostung von Spätburgunder aus dem Jahrgang 2003 eingeladen. Alle Weine, die ursprünglich über 90 Punkte hatten, wurden dort noch einmal nachverkostet. Es war für mich eine sehr interessante Erfahrung, gerade was dieser erste super heiße Jahrgang beim Spätburgunder bewirkte.
Übrigens wurde 2003 zum ersten Mal die Ansäuerung in Deutschland zugelassen. Manche Winzer hatten schon internationale Erfahrung beim Ausbau von Pinot Noir und kannten die üblichen Philosophien über die Ansäuerung in den jeweiligen Gebieten. Auch das Burgund, welches in der Weinbauzone C1a liegt, ist sehr fokussiert auf den korrekten pH-Wert in einem Most, so dass dort je nach Jahrgang ebenfalls schon sehr lange angesäuert wird. Aus diesem Grund hatte ich damals einen pH-Meter mitgebracht um zu schauen, wie die pH-Werte bei den einzelnen Weinen lagen und welcher sensorische Effekt bzw. Idealbereich sich für einen Pinot Noir herausstellte.
Damals lernte ich viele Eigenschaften bei gereiften Pinots kennen, die vom Team abgestraft wurden. Neben einer evtl. mit der Reife auftretendem Imbalance von zu hohem Alkohol, waren dies vor allem “falsche“ Fruchtaromatik, dezent beginnende oxidative Noten und eine zu derbe Tanninstruktur. Bei der Probe gab es sehr viele Weine, die schmeckten so als würde man auf ausgepresstem Trester kauen.“
Eine „zu derbe Tanninstruktur“ trat bei unserer Verkostung nicht auf. Tannine waren durch die Bank ‚abgeschmolzen‘, der geschmacklich-taktile Eindruck reichte von seidig-rund bis zu feinkörnig. Es gab auch keine ‚Biberweine‘, durch zu intensiven Holzeinsatz geprägte Weine. Das liegt sicher zum Teil an den verstrichenen 16 Jahren. Zudem haben deutsche Winzer seit den 1980ern erheblich dazu gelernt. Spitzenwinzer beherrschen mittlerweile den Einsatz von Barriquefässern hervorragend. Wenn überhaupt, dann deuten als geschmacksbereichernd empfundene, dezente Asche-, Rauch- oder Specknoten auf den Holzeinsatz hin.
Sehr leichte oxidative Noten traten bei einigen wenigen Weinen auf und machten sich aber nicht wirklich störend bemerkbar.
Einige Weine wiesen durchaus eine packende Säure auf, d.h. der pH-Wert war niedrig. Welcher Winzer angesäuert hat, lässt sich im Nachhinein nicht mehr eindeutig feststellen, da zum Teil die jüngere Generation übernommen hat oder die entsprechende Dokumentation fehlt. In keinem Fall wurde jedoch eine kräftige Säure als unangenehm empfunden. Im Gegenteil, sie trug zum Eindruck von Frische bei, vor allem bei den Weinen mit kräftiger, dunkler Frucht.
Die “falsche“ Fruchtaromatik zeigte sich dagegen bei einer Reihe von Spätburgundern. Die Rumtopfaromen der hochprozentigen Weine machten sich negativ bemerkbar. Wobei es weniger die Aromen, sondern eher der hohe Alkoholgehalt dieser Weine war, der sich negativ bemerkbar machte. Einige Weine mit 14,5% bis 16% und den gleichen superreifen Fruchtaromen schnitten exzellent ab, weil genügend Säure Frische und Balance in den Wein brachte und die substanzielle Dichte den Alkohol zusätzlich ‚pufferte‘.
Das Fazit
An vier Terminen im Juni und Juli 2019 wurden 53 Spätburgunder verkostet. 49 aus Deutschland und vier zum Vergleich aus dem Burgund. Alle Weine wurden zunächst blind und erst in einer zweiten Runde offen verkostet.
Das Niveau lag sehr hoch. Lediglich vier Weine erzielten weniger als 86/100 Punkte (Median). Acht Weine erreichten 86 bis 89 Punkte, 41 erzielten 90 und mehr Punkte. Das Ergebnis ist auf der einen Seite nicht verwunderlich, weil an der Verkostung überwiegend Spitzenweingüter teilnahmen. Winzer, die Probleme mit dem Jahrgang hatten, haben erst gar nicht teilgenommen. Auf der anderen Seite zeigt es überraschenderweise, dass der schlechte Ruf heißer und trockener Jahrgänge zu Unrecht besteht. Winzer, die bereits Erfahrung mit heißen Jahrgängen im Burgund und anderen Weinbaugebieten gewonnen hatten, haben exzellente Spätburgunder auf die Flasche gezogen. Weine, die nicht nur in der Jugend gut schmecken, sondern gut gereift sind und auch noch nach 16 Jahren wunderbar dastehen und sich mit großem Genuss trinken.
Die Rezeption solcher Weine aus heißen und trockenen Jahrgängen ist allerdings sehr verschieden. Während Kritiker überwiegend den klassischen, schlanken, rotfruchtigen Pinot Noir Stil mit sehr moderatem Alkoholgehalt bevorzugen und hoch bewerten, ziehen Konsument meist den kräftigen, dunkelfruchtigen Stil mit höherem Alkoholgehalt vor.
Die Verkostung hat gezeigt, dass hoher Alkoholgehalt und superreife Frucht hoher Qualität nicht im Wege stehen, insofern ausreichend Säure als Balance für Frische sorgt. Außerdem muss der Wein genügend innere Dichte als weiteren ‚Puffer‘ für den hohen Alkoholgehalt aufweisen. Ausreichend zuckerfreier Extrakt, um diese Dichte zu erhalten, ist mit hohen Ernteerträgen allerdings nicht zu erzielen.
Ein unterschätztes Problem ist die Korkqualität. Schlechte oder verunreinigte Korken laugen aus und können selbst ursprünglich exzellente Weine stark beeinträchtigen. Vor allem bei Weinen, die für eine längere Lagerung vorgesehen sind, sollte unbedingt auf beste Korkqualität geachtet werden.
Text und Fotos: Joachim A. J. Kaiser