Weinrallye #54: Region im Glas, 31.08.2012
Region, was ist das? Maibaumaufstellen, Blasmusik, alles kuschelig und klein-klein? Ich bin viel in der Welt herum gekommen und kann das nicht so eng sehen. Für mich ist alles Region, was ich bequem innerhalb von ca. einer Stunde Fahrzeit erreichen kann: Pfalz, Rheinhessens südlicher Teil Wonnegau, Badens Kraichgau, badische Bergstraße, Ortenau und das nördliche Markgräflerland, das westliche Württemberg und natürlich auch das nördliche und mittlere Elsass. Es ist die Vielfalt der Weine und Winzer, die mich begeistert und mich zu Entdeckungstouren rund um meinen Wohnort Karlsruhe motiviert.
Die Großen und die Renommierten sind bekannt. Man kann natürlich hergehen und die Liste der VDP-Mitgliedsbetriebe einfach ‚abarbeiten’. Das mache ich auch manchmal. Sicher im Schnitt gute bis sehr gute Weine und manchmal sogar ein großartiger Wein dazwischen, aber vom Überraschungsfaktor her öde, vorhersehbar. Ich finde es viel prickelnder die zweite, dritte oder vierte Liga auf gut Glück abzuklappern, die mittleren, kleinen und winzigen Produzenten. Ja, ja, ich höre hier schon das Stöhnen, oh Gott, oh Gott, was mutet der uns nur zu. Richtig, das kann schon eine Zumutung sein. Da ist jede Menge Durchhaltevermögen und freundliche Geduld von Nöten. Auch dann, wenn man trotz Spucken am liebsten mit Bier nachspülen möchte, um den schlechten Geschmack loszuwerden. Und dann – man ist bei einem wenig bekannten Winzer, einem No-Name-Weingut, man schnuppert und die kleinen Haare am Arm beginnen sich aufzurichten, man nimmt einen Schluck und ein wohliger Schauer durchrieselt einen. Ja, dafür hat es sich gelohnt!
So erging es mir letztes Jahr mit dem 2009er „Finesse“ Riesling Spätlese von Holger Dütsch aus Baden-Baden Neuweier. Mit 14 Euro preislich nicht billig, aber auf einem Niveau, das vielen teureren Großen Gewächsen das Fürchten lehrt. Der Mann weiß, was er kann, ist gemessen an der Qualität seiner Weine günstig, aber verkauft sich nicht unter Preis. Recht so! Die ganze Kollektion war durch die Bank gut, nicht nur die Weißweine. Sehr gut hat mir auch sein Blaufränkisch gefallen.
Eine weitere Entdeckung aus Baden, das Weingut Fröhlich-Leonetti, das nur einen Steinwurf von Holger Dütsch entfernt ist. Die 2011er Rieslinge von guten Erzeugern sind meist ziemlich schmelzig, ja fast schon charmant und verfügen trotzdem über eine angenehme, frische Säure. Der 2011 Neuweierer Altenberg Riesling Kabinett trocken von Rico Leonetti ist da keine Ausnahme, was nicht verwunderlich ist, denn bei dem Wein handelt es sich sicher um eine abgestufte Spätlese. Preislich sind die Weine geradezu unverschämt günstig. Vor zwei Jahren hat Rico Leonetti das Weingut von seinen Eltern übernommen, die vorher nicht selbst abgefüllt, sondern im Nebenerwerb Trauben an die Genossenschaft abgeliefert haben. Der Geisenheim Absolvent hat nahezu auf Anhieb eine sehr überzeigende Kollektion hingelegt, bereits jetzt auf Augenhöhe mit dem renommierten Nachbarn Schloss Neuweier. Respekt und weiter so! [1]
In der Pfalz überzeugt mich seit Jahren ein ganz kleiner Winzer, vor allem mit seinem Spätburgunder. Heinrich Wissing ist pensionierter Lehrer und zeigt, dass es nicht nur die Jungen können. Auf ihn hat mich Peter Vondung, ein profunder Kenner der Pfalz, aufmerksam gemacht. Sein 2003er Niederhorbacher Silberberg Spätburgunder QbA ist sehr elegant und zählt zum Besten, was der Jahrgang aus dieser Rebsorte in der Pfalz hervorgebracht hat. Die 2009er Auslese trocken ist auf gleichem Niveau, aber sehr wuchtig und trotzdem mit einem sehr guten Trinkfluss. Wer ungewöhnliche Rebsorten mag, ist bei Wissing ebenfalls gut aufgehoben. Es lohnt sich seinen Kanzler und Morio-Muskat zu probieren.
Wenig bekannt ist auch das Weingut Lingenfelder in Großkarlbach. Alle Weine von Lingenfelder sind unverwechselbare Charktere. Einige Insider erinnern sich vielleicht noch an seinen 1992 und 93 „Y“, einen Silvaner, der keine AP-Nummer erhielt, weil Lingenfelder ihn im Barrique ausgebaut hatte und er zudem die ‚Frechheit’ besaß Sylvaner mit „Y“ schreiben zu wollen. Das „Y“ wurde ihm verboten, aber Lingenfelder füllte den Wein einfach als Tafelwein ab: „Y·p·s·i·l·o·n Hommage an Georg Scheu und seine Rebellion gegen die i-Punkt Bürokraten“. Die letzte Flasche 93er habe ich 2011 getrunken. Der Wein zählt zum Besten, was ich je aus dieser Rebsorte getrunken habe. Ein überragender, ein wahrhaft großer Wein, der stilistisch ein klein wenig an Burgund erinnerte, sich aber dabei ganz eigenständig präsentierte und auch in der Oberliga der weißen Burgunder locker hätte mitspielen können.
Und damit ich nicht in den Verdacht gerade, Vorurteile zu haben, zum Schluss noch ein Weingut aus der zweiten Liga. Der Wilhelmshof in Siebeldingen hat sicher nicht das Renommee und den Bekanntheitsgrad von Rebholz, der auf der Straßenseite gleich gegenüber residiert. Aber herausragend sind sicher die Sekte, die hier produziert werden. Die „Patina“ Blanc de Noirs Jahrgangssekte werden nicht jedes Jahr erzeugt und zählen meiner Meinung nach zum Feinsten, was Deutschland an perlender, prickelnder Finesse zu bieten hat. Auch hier gefällt mir, dass man die Eigenständigkeit schmeckt und das, obwohl Herbert und Christa Roth einige Zeit in der Champagne zugebracht haben.
Es gäbe noch Dutzende von interessanten Weinen, Winzern und Weingütern aus der Region um Karlsruhe. Aber das sollte erst mal reichen.
Hier sind einige Links zu den besprochenen Weinen/Winzern:
Baden
Holger Dütsch, Fröhlich-Leonetti
[1] 07.05. 2015, Aktualisierung:
Die weiteren Jahrgänge bei Fröhlich-Leonetti kommen leider nicht an den 2011er ran.
Links auf Wissing und Lingenfelder aktualisiert.
Pfalz
Lingenfelder, Wissing, Wilhelmshof
Text und Fotos: Joachim A. J. Kaiser