Gedanken zur neuen 4-stufigen Klassifikation des VDP


 

Übersicht

Das bisherige 3-stufige Klassifikationsmodell des VDP besteht aus Erster Lage, Ortswein und Gutswein. Der VDP hat in seiner Mitgliederversammlung 2012 ein neues 4-stufiges Klassifikationsmodell beschlossen. Prinzipiell basiert auch die neue VDP Klassifikation auf dem Lagenprinzip, Burgund als Vorbild. Über den Sinn oder Unsinn einer auf Lagen (Terroir) basierten Klassifikation kann man lange streiten. Die Entwicklung in Frankreich ist ein gutes Beispiel dafür. Eine sehr gute Erläuterung, wie das ab 2013 mit dem Weinjahrgang 2012 aussehen wird, kann man im Blog von Dirk Würtz nachlesen.

Sieht man genauer hin, dann besteht die neue VDP Klassifikation nicht nur aus vier Stufen, sondern unterscheidet Weine vorab in zwei prinzipielle Kategorien, in trockene und süße Weine (feinherb, halbtrocken, usw.). Insgesamt ergibt sich das folgende Schema:

VDP
Stufe

Kategorie

mögliche
Ausnahmen

Trocken Süß

Große Lage

Großes Gewächs, QbA, Lage Kein QbA, alle Prädikate, Lage Kabinett trocken
Erste Lage QbA, Lage Kein QbA, alle Prädikate, Lage Kabinett trocken
Ortswein QbA, keine Lage QbA oder alle Prädikate, keine Lage  –
Gutswein QbA, Kabinett, Spätlese, keine Lage QbA oder alle Prädikate, keine Lage  –

Somit ergeben sich acht Klassifikationstypen, nimmt man die beiden möglichen Ausnahmen hinzu, dann sind es zehn. Da im süßen Bereich Prädikate erlaubt sind, ergeben sich mit Kabinett, Spätlese, Auslese, Beerenauslese, Trockenbeerenauslese und Eiswein insgesamt 34 verschiedene Kombinationsmöglichkeiten.

Was mir gefällt und was mir nicht gefällt

Trocken / Süß

Generell gefällt mir die prinzipielle Kategorisierung in trockene und süße Weine. Sie bestand zwar auch schon bisher, kommt aber nun etwas klarer zum Tragen. Leider immer noch nicht klar genug! Für die allermeisten Konsumenten ist das erste Entscheidungskriterium beim Weinkauf: Ist der Wein trocken oder süß? An dieser Stelle muss man auch über zuckrige Rattenfänger- bzw. Konsumentfängerschwänzchen in sogenannten trockenen Weinen reden, um die Weine für das breite Publikum vordergründig geschmeidiger zu machen. Was rechtlich in Deutschland zulässig ist, ist qualitativ noch lange nicht gut. Vom VDP hätte ich mir gewünscht, dass er diese fundamentale Unterscheidung noch klarer in seiner neuen Klassifikation definiert, sichtbar macht, auch und insbesondere auf der Flasche!

Ich finde die prinzipielle Kategorisierung in trocken und süß auch deshalb gut, weil sie historische Kontinuität zeigt. Deutsche Weine, insbesondere Rieslinge, waren die letzten 200 Jahre, trotz der Probleme in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, vor allem wegen ihrer herausragenden Balance von Süße und Säure berühmt. Das ist ein Pfund, mit dem wir international wuchern können, eine Tradition, auf deren Ruf wir aufbauen und uns weiterentwickeln können. Die Beibehaltung der Prädikate im süßen Bereich, vom leichten, feinherben Kabinett bis zur atemberaubenden TBA, ist also sinnvoll. Sie ohne Not aufzugeben, wäre hirnrissig.
Ob man süße Weine auch in den beiden unteren Stufen, Orts- und Gutswein, braucht, wage ich zu bezweifeln. Dem historischen Ruf, dem die Beibehaltung der Prädikate verpflichtet ist, werden süße Weine zumindest auf dem Niveau des Gutsweins qualitativ sicher nicht gerecht. Hier wäre weniger sehr viel mehr gewesen: Keine süßen Weine auf Guts- und Ortsweinebene, keine Prädikate Kabinett oder Spätlese im trockenen Bereich, sondern ausschließlich QbA trocken.

Warum einfach und verständlich, wenn es auch kompliziert und verwirrend geht?

Die oberste Stufe des bisherigen 3-stufige Klassifikationsmodells ist vom Sprachgebrauch her verwirrend, insbesondere für ausländische Konsumenten. Der Wein heißt Großes Gewächs, die Stufe aber Erste Lage. Die Ausnahme ist hier der Rheingau, bei dem die oberste Stufe sinnvollerweise Ersten Gewächs heißt. Die sprachliche Anpassung Große Lage – Großes Gewächs ist deshalb sinnvoll, logisch und führt zu einem klaren Profil, vor allem im Ausland.

Weniger begeistert bin ich über die Einführung einer vierten Stufe, der Ersten Lage, zwischen dem Ortswein und der Großen Lage. Und zwar aus zwei Gründen.
Erstens ist der Unterschied zwischen Großer und Erster Lage mit Sicherheit nicht allgemeinverständlich. Burgund lässt grüßen und nicht umsonst gilt das burgundische System unter Laien als schwer verständlich und als sehr erklärungsbedürftig. Ist groß wirklich besser als der Erste oder ist es doch umgekehrt? Meine Meinung dazu ist klar. Um mit dem Highlander zu sprechen: Es kann nur einen geben! Entweder den Großen oder den Ersten.
Und hier ist der zweite Grund: Drei Stufen sind für jeden, ob Laie oder Fachmann intuitiv verständlich. Wir kennen es von allen sportlichen Ereignissen, von den olympischen Spielen bis hin zur Fußballweltmeisterschaft, Gold – Silber – Bronze, Groß – Ort – Gut. Mit der Einführung einer 4-stufigen Klassifikation geht diese glasklare und für jeden sofort verständliche Hierarchie verloren. Der VDP wird für die Allgemeinheit schwerer verständlich, damit elitärer. Aber vielleicht ist das ja gerade erwünscht.
Wenn man denn unbedingt eine vierte Stufe beibehalten will, müssen sie sich sprachlich allgemeinverständlich und eindeutig unterscheiden. Wie wäre es zum Beispiel mit einem 3-stufigen Lagen-Modell, aber vier Weinstufen:

Stufe

Kategorie

Ausnahmen

Trocken Süß

Große Lage

GG 1. Klasse (oder Goldkapsel oder …) Kein QbA, alle Prädikate, Lage
GG 2. Klasse (oder Silberkapsel oder …) Kein QbA, alle Prädikate, Lage
Ortswein QbA, keine Lage
Gutswein QbA, keine Lage

 

VDP im Dilemma

Eine sehr gute, eine große Lage muss noch lange keinen großen Wein hervorbringen. Auf dieses Dilemma ist zu Recht auch von anderer Seite schon hingewiesen worden.
Mit der Einführung der Klassifikation Grosse Lage und der Bezeichnung von Weinen aus diesen als Grosses Gewächs – GG hat der VDP prinzipiell die Möglichkeit diesem Dilemma abzuhelfen. Nur solche Weine aus Grossen Lagen, die auch wirklich groß sind, werden als GG klassifiziert. Groß, so wie es im internationalen Sprachgebrauch verwendet wird, also 96 bis 100 Punkte [1], am Besten bestätigt durch eine unabhängige Jury in einer Blindverkostung. Dass es zusätzlich zu einer Grossen Lage des Könnens des Winzers bedarf, um einen wirklich großen Wein zu erzeugen, würde damit die notwendige Referenz erwiesen.

Natürlich hat auch bisher schon eine ‚Prüfung‘ stattgefunden. Aber das Ergebnis ist bekannt und hat oft zu Kopfschütteln geführt. Viele GG waren eher Grosses Gewäsch als Grosses Gewächs.
Die Frage aller Fragen ist also: Ist der VDP bereit sich an seinen eigenen postulierten Maßstäben messen zu lassen? Tatsächlich rigide nach GROSS zu sieben?

Über die Einführung einer weiteren Lagenebene, der Ersten Lage, unterhalb der Grossen Lage bin ich, wie bereits erwähnt, nicht so ganz glücklich. Im Zusammenhang mit einer rigiden Selektion auf große Weine könnte es aber die Akzeptanz der VDP-Mitglieder verbessern. Nur mal so als Gedanke: Wenn abgestufte GG als Erste Lage etikettiert werden könnten – natürlich unter der Voraussetzung, dass sie zwar nicht groß, aber sehr gut sind, dann wäre der Schmerz vielleicht nicht ganz so schlimm, auch vom Marketing und Verkauf her. Diese abgewerteten Weine aus Grossen Lagen müssten dann nicht als Orts- oder Gutswein verkauft werden.
So wie ich die neue Klassifikation interpretiere, ist das aber bisher nicht angedacht oder sogar nicht erwünscht. Aus den oben genannten Gründen macht die Erweiterung der Klassifikation auf vier Stufen sowieso eher den Eindruck aus wirtschaftlichen Gründen erfolgt zu sein. Die Spreizung ermöglicht es das Ortsweinniveau zum Teil höherpreisig als Erste Lage zu verkaufen. Wirtschaftliche Gründe zu berücksichtigen ist a priori nicht anrüchig und ist legitim. Mit der Qualität der Weine hat das aber erst mal gar nichts zu tun, solange keine rigide Qualitätskontrolle klare Grenzen setzt.
Gegen dieses Gedankenexperiment spricht natürlich die Verwechslungsgefahr, mal taucht z.B. das Erdener Treppchen als Große Lage, mal als Erste Lage auf. Die Eindeutigkeit von Lage und Qualitätsstufe sowie die intuitive Verständlichkeit gehen damit verloren.
Auf der anderen Seite könnte das Vertrauen in den VDP als deutsche Speerspitze der Weinqualität noch weiter zunehmen. Und so schwer verständlich wäre ein GG Erdener Treppchen 1. Klasse und GG Erdener Treppchen 2. Klasse ja auch nicht. Die Weine, die in der neuen Klassifikation als GG oder Erste Lage vorgesehen sind, könnten gemeinsam verkostet werden: 96 – 100 Punkte => Große Lage GG 1. Klasse, 90 – 95 Punkte => Große Lage GG 2. Klasse.
Will der VDP auf Dauer die Erste Lage beibehalten – evtl. unter einer neuen, sinnvolleren Bezeichnung, dann könnten aufgrund der vorgeschlagenen gemeinsamen Blindverkostung Erste Lagen Weine, die regelmäßig 96 – 100 Punkte erzielen, zum GG Großen Lage hochgestuft werden. Das würde endlich der Tatsache Rechnung tragen, dass der Klimawandel auch an Lagen (Terroir) nicht ohne Spuren vorbei gegangen ist und sich Lagen auch zukünftig weiter verändern werden.

Fazit

Die Einführung der 4-stufigen Klassifikation mit der Stufe Ersten Lage ist aus meiner Sicht nicht prinzipiell schlecht, aber nicht optimal erfolgt. Sie kann eine große Chance für den VDP sein, endlich wirklich zuverlässig, nach internationalen Kriterien die absoluten deutschen Spitzenweine zu repräsentieren und in den Bereichen darunter zuverlässige Qualität zu garantieren. Mit der jetzigen Reform ist man dem Ziel einen kleinen Schritt näher gekommen, aber nur sehr halbherzig. Zukünftig mehr Mut, VDP!

Text und Titelfoto [2]: Joachim A. J. Kaiser

[1] Entscheidend ist, dass die Untergrenze nicht zu niedrig angesetzt wird. 94 Punkte bei einer unabhängigen Blindverkostung sollten nicht unterschritten werden.

[2] Der abgebildete Bremmer Calmont, eine der berühmtesten Grand Cru Lagen an der Mosel, wird vom VDP nicht als Große/Erste Lage geführt.

Update 23.05.2013: Korrektur von Rechtschreibfehlern, Fußnote [1] eingefügt