Aglianico – Süditaliens High-End Chamäleon


Wenn es an Italiens Stiefelspitze eine Rebsorte gibt, die das Zeug dazu hat, Italiens Mitte mit seinem Sangiovese Grosso / Brunello und Italiens Norden mit seinem Nebbiolo / Barolo / Barbaresco Paroli bieten zu können, dann ist es Aglianico.
Die Aglianico-Trauben ergeben einen farbstarken Wein mit kräftigen Tanninen und einer animierenden Säure. Er verträgt mehrjährige Lagerung, Top-Weine können über 10 und mehr Jahre hervorragend reifen.
Sehr spannend sind auch die unterschiedlichen Interpretationen der Rebsorte durch die verschiedenen Weingüter. Trotz der oben aufgeführten Gemeinsamkeiten hat man mal den Eindruck einen Cabernet Franc lastigen Bordeaux, mal einen Pinot Noir, Brunello, Nebbiolo oder eine Cuvee dergleichen im Glas zu haben. Aglianico kann ein wahres High-end Chamäleon sein! Vermutlich sind die nicht deklarierten, erlaubten geringen Prozentanteile anderer Rebsorten, z.B. der autochthone Piedirosso, von erheblicher Bedeutung für den Geschmack.

Die Aglianico-Trinkstrecke

Die Aglianico-Trinkstrecke

Am 10.08.2016 hat sich „Der Harte Kern“, eine Gruppe von Profis und vinophilen Laien, getroffen, um eine Trinkstrecke von 11 handverlesenen Aglianicos zu verkosten. Zwei Weine habe ich im Fachhandel gekauft, neun direkt bei den Weingütern in Kampanien und Basilikata mitgenommen.
Verkostet wurde offen, die Weine wurden nicht dekantiert, Reihenfolge von jung zu alt mit Ausnahme des restsüßen 2015er von Di Mateo, der als letzter dran kam. Nach dem ersten Durchlauf wurden alle Weine über mehrere Stunden hinweg in ihrer Entwicklung beobachtet und ’nachverkostet‘. Hier ist das Ergebnis:

Auswertung der Aglianico-Probe vom 10.08.2016

Auf dem Siegertreppchen standen zur Überraschung der meisten drei Weine von Genossenschaften. Ganz oben stand der 1968er Anno Domini 1590 Taurasi von Antica Hirpinia (Soc. Coop. Agr. Avellino)[1] gefolgt vom 2008er der gleichen Genossenschaft.
Den dritten Platz teilen sich zwei Weine, weil der Unterschied zwischen den beiden statistisch nicht signifikant ist, der 2007er Taurasi von Feudi Di San Gregorio und der 2007er La Guardiense (Cantina Sociale), ebenfalls eine Genossenschaft.

Die Sieger: Gold für den 1968er, Silber für den 2008er, beide Coop. Agr. Avellino. Bronze teilen sich der 2007er Taurasi von Feudi und der 2011er I Mille Per L'Aglianico von La Guardiense

Die Sieger: Gold für den 1968er, Silber für den 2008er, beide Coop. Agr. Avellino.
Bronze teilen sich der 2007er Taurasi von Feudi und der 2011er I Mille Per L’Aglianico von La Guardiense

Die Weine im Einzelnen:

2014 „Per s’e per gli amici“, Taurasi Riserva, CAV. RINO ALVINO (Sabino Alvino), 14.5%
Streng genommen ist das eine Cuvee, die laut Sabino Alvino kleine Anteile an Piedirosso, Barbera, u.a. enthält. Sabino ist der Sommelier des Restaurants „Valleverde“ in Atripalda. Er erzeugt nur 300 – 600 Flaschen.
Wein: Würzig, duftig, eher rotbeerige Nase, im Mund auch Kirsche, Schlehe und etwas Aronia, herbe Note, gute Säure und gewisser Schmelz, mittellang, hat eindeutig einen Touch von Pinot Noir. Trinkt sich jetzt schon gut, kann aber noch einige Jahre vertragen.

Sabino Alvino und die Köchin des Restaurants Valleverde in Atripalda

Sabino Alvino und die Köchin des Restaurants Valleverde in Atripalda

2013 „Grifalco“, Aglianico del Vulture, GRIFALCO, 13.5%
Wein aus dem Verkostungspaket II/2016 von Wein-Plus.
Wein: Nase zunächst etwas medizinal, dann dezent ätherische Noten nach Wacholder, aber auch Kirsche, im Mund deutliche Adstringenz und Säure, mittelgewichtig, Schlehe und etwas Rhabarber, mit viel Luft etwas Oliventapenade und reife, grüne Paprika, erinnert an Cabernet Franc, jung, braucht noch Zeit.

2013 Aglianico del Vulture, Grifalco, 13.5%

2013 Aglianico del Vulture, Grifalco, 13.5%

2013 „Il Repertorio“, Aglianico del Vulture, NOTAIO, 14%
1998 gegründetes Weingut mit hohem Anspruch an sich selbst. Moderne Wirtschaftsgebäude außerhalb von Rionero in Vulture sowie sehenswertem mittelalterlichen Showkeller und Verkostungsräume in der Stadt.
Wein: Duft nach Schwarz- und Sauerkirschen, etwas Vanille, intensiv fruchtig-schmelzig, im Mund ebenso, Tannine schon sehr geschliffen für das jugendliche Alter, rund und fast cremig, aber nicht breit, mittellang – lang, könnte etwas mehr Säure vertragen, um dem sehr gefälligen Schmelz etwas entgegenzusetzen, Jammern auf hohem Niveau.

Die Weinkeller von Notaio wurden im Mittelalter von Franziskanermönchen in den Tuffstein geschlagen

Die Weinkeller von Notaio wurden im Mittelalter von Franziskanermönchen in den Tuffstein geschlagen

2012 „Irpinia“, Aglianico Campi Taurasini, LUCIANO BARROSSO, 12.5%
Kleines Familien-Weingut in Taurasi, stellen etwa 10000 Flaschen von diesem Basis Taurasi her. Ab-Hof-Preis 3.50€!
Wein: Zunächst fleischig-animalisch Note, die rasch in den Hintergrund tritt, dann kräftige, ätherische Noten nach Kampfer, Minze, Eukalyptus, sagar etwas Menthol, Frucht verhalten in der Nase, im Mund aber deutlich rotfruchtig, Sauerkirsche, auch wieder mit einem Touch reifer, grüner Paprika an Cabernet Franc erinnernd,  rustikal, hält im Mund nicht ganz, was die Nase verspricht.

2007 „Taurasi“, Taurasi, LUCIANO BARROSSO, 14%
Der Top-Wein des Weinguts.
Wein: Dem Basiswein sehr ähnlich, allerdings alles dichter, straffer, der Mund hält diesmal, was die Nase verspricht, auch eine gewisse Eleganz, wirkt wie eine Cuvee aus Cabernet Franc und Pinot Noir.

Frau Barrosso mit ihren beiden Aglianicos

Frau Barrosso mit ihren beiden Aglianicos

2011 „I Mille Per L’Aglianico“, Sanio Aglianico, LA GUARDIENSE (Cantina Sociale), 14%
Große, sehr eifrige Genossenschaft mit hohem Qualitätsanspruch bis herunter zu den Basis-Weinen mit Sitz in Guardia Sanframondi.
Wein: Tiefschwarze aber auch rotfruchtige Beeren, dezent ätherisch-kühle Noten nach Minze und Menthol, heißer Graphit / Bleistift auch im Mund, etwas Kirschfrucht und reife rote Paprika, Brombeere und rote Johannisbeere, sehr komplex, als hätte man einen Top-Blaufränkisch mit 20% Top-Cabernet Franc verschnitten, zu jung, hält noch viele Jahre. Verdienter dritter Platz in der Verkostung zusammen mit Feudi.

Guardia Sanframondi im Sannio-Gebiet ist die Heimat der Genossenschaft La Guardiense

Guardia Sanframondi im Sannio-Gebiet ist die Heimat der Genossenschaft La Guardiense

2008 „Perdone, Anno Domini 1590“, Taurasi, ANTICA HIRPINIA (Soc. Coop. Agr. Avellino), 13.5%
Die Genossenschaft hat wirtschaftlich harte Zeiten hinter sich. Was sicher nicht an dem langjährigen Kellermeister Raffaele Inglese liegt. Es war nicht nur der Top-Wein, der mich überzeugt hat. Die Qualität der Weine im Mittel- und Spitzensegment, die ich vor Ort verkostet habe, war sehr gut und auch die Basis gut trinkbar.
Wein: Sehr vielschichtige Nase, Duft nach schwarzen Beeren und Wacholderbeeren, heiße Eisenspäne, auch Gewürze (Piment, Nelke), Tabak, im Mund ebenso mit Anklängen an Kirsche, Brombeere und reifer grüner und roter Paprika (Cabernet Franc Touch), dabei von noch fast jugendlicher Frische, Tannine schon abgeschliffen, aber noch nicht seidig-rund, lang und tief. In unserer Verkostung Platz zwei.

1968 „Anno Domini 1590“, Taurasi, ANTICA  HIRPINIA (Soc. Coop. Agr. Avellino), 13%
Wein: Der 68er ist die distiguiertere Version des 2008er. Frucht, Gewürze, Länge und noch erheblicher Druck am Gaumen, der Cabernet Franc Touch ist allerdings vollständig verschwunden, für sein Alter noch extrem frisch, höchstens an der Tanninstruktur merkt man, wie gereift der Wein ist, wie Samt und Seide gleitet der Wein über den Gaumen. Ich habe vor Kurzem einen 1966er Figeac aus der Magnum geöffnet, ein großer Wein, der deutlich reifer wirkte.
Wenn man diesen Wein im Mund hat, versteht man, weshalb er und der 1968er Aglianico von Mastroberardino (nicht in dieser Verkostung) der Auslöser für die Gründung der DOC Taurasi 1970 gewesen sind. Eindeutig der beste Wein der Probe.

2007 Taurasi, ANTICO BORGO (Raffaele Inglese), 14%
Wein: Raffaele Inglese, der Kellermeister von Antica Hirpinia, ist auch der Önologe und Mitbesitzer des Weingutes Antico Borgo in Taurasi.
Zunächst sehr ätherische Nase, nimmt mit der Zeit ab, rotbeerig, im Mund mit Schokolade zerkaute Mon Cherie Kirsche, saftig-trinkig, macht einfach nur Spaß.

Beniamino Ianbolo, Kommunikation, und Raffaele Inglese, der langjährige Kellermeister von Antica Irpinia

Beniamino Ianbolo, Kommunikation, und Raffaele Inglese, der langjährige Kellermeister von Antica Hirpinia

2007 Taurasi, FEUDI DI SAN GREGORIO, 14%
Feudi ist einer der ganz Großen in Süditalien. Die neuen Gebäude des Weinguts thronen auf einem Hügel bei Sorbo Serbico. Schon bei der Anfahrt wird man von den klaren Linien des Weinguts und der Schönheit der Lage eingenommen. Innen ist alles Effizienz, die Technik, die Logistik, der Verkauf, die Kommunikation.
Wein:
Zunächst sehr ätherische Nase, verfliegt aber nahezu vollständig mit Luft und Wärme, eher schwarzfruchtige Nase, würzig, dezente Noten nach Waldboden, im Mund saftig-frisch, eher rotfruchtig, Kirschkerne, Sauerkirsche, alles sehr ausgewogen, wirkt wie eine Cuvee aus Bordeaux und Burgund. Steht zu Recht mit auf dem Siegertreppchen.

150 Jahre und älter sind die Aglianico-Reben in Feudi Di San Gregorios historischem Weinberg

150 Jahre und älter sind die Aglianico-Reben in Feudi Di San Gregorios historischem Weinberg

2015 Aglianico del Vulture, ANTONIO DI SAN MATEO
Den Wein kann man streng genommen nicht als Aglianico del Vulture bezeichnen, da er ausschließlich für den privaten Gebrauch der Familie von Antonio Di Mateao erzeugt wird und keinerlei Qualitätskontrolle unterworfen wurde. Antonio hat 2 ha Aglianico in Rionero in Vulture, die er trotz seiner 86 Jahre noch weitgehend alleine pflegt. Der Wein wird sowohl im Weinberg als auch im ‚Keller‘ nach Altvätersitte produziert, alles reine Handarbeit, keine Kellertechnik. Von den Glasballons werden unfiltriert Flaschen abgezogen, wenn Wein benötigt wird. In die Verkostung hatte ich den Wein aufgenommen, um den ‚klassischen‘ Stil zu zeigen. Die modernen Aglianicos haben qualitativ einen weiten Weg hinter sich, den man auch deutlich schmeckt.
Wein: In der Nase stark balsamischer Duft und kräftig nach Traubensaft, im Mund erinnert der Wein nur entfernt an Wein, sondern eher an sehr hochwertigen Dessertessig, die Essignoten überwiegen, dazu passt auch gut die deutliche, aber nicht aufdringliche Restsüße, die dem Ganzen eine schöne Balance gibt. Als Wein nicht bewertbar.
Ich habe den ‚Wein‘ zusammen mit einer zartbitteren Mousse au Chocolat serviert. Eine geniale, umwerfende Kombination!

Antonio Di Mateo, Winzer, 86 Jahre, in seinem Weinberg am Monte Vulture

Antonio Di Mateo, Winzer, 86 Jahre, in seinem Weinberg am Monte Vulture

Text und Fotos: Joachim A. J. Kaiser

[1] Update: Die Genossenschaft wurde noch 2016 verkauft und privatisiert. Önologe ist mittlerweile Riccardo Cotarella.